"Der Begriff `konzeptionelle Schriftlichkeit´ bezieht sich (...) auf die Art des Denkens. Der Sprachgebrauch ist von Ausführlichkeit und grammatikalischer Korrektheit geprägt.
Beispielsweise ist ein Vortrag, auch wenn er medial mündlich ist, inhaltlich und formal ein schriftlicher Text. Wortwahl, Satzverknüpfungen und Aussprache sind so, dass der Vortrag sich `wie gedruckt´ anhört (...)
Konzeptionelle Schriftlichkeit ist die Grundlage der schulischen Bildung. Da der gesamte Unterricht mit der Zeit konzeptionell schriftlich wird, wirken sich bereits geringfügige Sprachschwierigkeiten aus, die im Alltag nur wenig ins Gewicht fallen. (...) Gut ausgebildete mündliche Sprachfähigkeiten bilden eine wichtige Basis für die Ausbildung der konzeptionellen Schriftlichkeit. (...)
Im Kindergarten und zu Beginn der Volksschule haben Sprachunterricht und Sprachförderung die Aufgabe, Prozesse, die auch ungesteuert ablaufen können, zu optimieren. In diesem Kontext ist die formale Korrektheit zuweilen zweitrangig, denn es steht die Fähigkeit im Vordergrund, sich zu verständigen und kommunikative Aufgaben erfolgreich zu lösen.
Mit zunehmendem Alter ist der Sprachunterricht mit dem Erwerb der konzeptionellen Schriftlichkeit verbunden. (...) Das bedeutet unter anderem, dass der formalen Korrektheit ein größerer Stellenwert eingeräumt werden muss, denn formale Fehler in schriftlichen Texten werden traditionell hoch sanktioniert. Dies ist für viele Kinder ein Problem. So ist etwa die mangelhafte Beherrschung der Genuszuweisungen (gramm. Geschlecht) in mündlichen Texten meist kein Problem; in der Alltagskommunikation werden die Kinder nur selten darauf hingewiesen, wenn sie z. B. einen falschen Artikel gebrauchen. (...). Schreibt das Kind jedoch einen falschen Artikel, wird dies sofort als Fehler gewertet. Hier müssen Lehrkräfte sensibel sein und sich dessen bewusst werden, dass die Kinder zunächst ein Fehlerbewusstsein entwickeln müssen. (...)
Lernende mit Deutsch als Erstsprache müssen in der Regel im Bereich der Aussprache, der Grammatik und des Wortschatzes keine grundlegenden Fertigkeiten mehr erwerben, wenn sie in die Schule kommen. Bei ihnen kann sich das Lernen auf den Erwerb der Schrift und die Bildungsinhalte der Fächer konzentrieren.
Lernende mit Deutsch als Zweitsprache müssen zusätzlich in den grundlegenden Bereichen unterstützt werden, die sie zum Aufbau der Bildungssprache benötigen."
KOCH, P. & OESTERREICHER, W. (1994). Schriftlichkeit und Sprache. In H. Günther & O. Ludwig (Hrsg.), Schrift und Schriftlichkeit. Writing and Its Use. Ein interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung (S. 586-604). Berlin, New York: De Gruyter.
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